Bali ist wie im Flug an mir vorbei gesaust, und doch waren es unheimlich intensive Tage. Wenn ich mich recht erinnere, fünf an der Zahl 😀 Durch meine Hauruck-Aktion, drei Wochen nach Hause zu fliegen, um meinen mir angetrauten, durchdrehenden Ehemann davon zu überzeugen, dass das Leben auch noch gut ist, wenn man es nicht immer am gleichen Ort verbringt, ist der Aufenthalt auf ein Miminum geschrumpft. Aber mein organisatorisches Talent ist enorm gewachsen durch solche Unternehmungen.
Die darauf folgenden drei Nächte wollte ich weg von dem Touri-Style-Nobel-Resort und mich wieder wie ein Backpacker fühlen. Also zog ich mit meinen mittlerweile nur noch sieben Kleidungsstücken in ein Hostel um, und schlief wie es sich gehört, ganz hardcore auf einer gefühlt zwanzig Zentimeter breiten alten Matratze auf der offenen Dachterrasse zwischen vielen, täglich wechselnden, fremden Menschen. Ich liebte es, wenn das Schnarchkonzert morgens durch das zwitschern der Vögel unterbrochen wurde und fühlte mich ziemlich angestrengt authentisch. Immerhin hatte ich immernoch meine Rippenprellung vom Autounfall, und legte großen Wert darauf, den Schmerz des allein reisenden, armen Studentenmädchens ins Theatralische auszureizen. Ohne Studentin zu sein, oder noch ein Mädchen. Eher eine etwas regressive junge Frau, die aus nichts bestand, außer dem immerwährenden Durst nach der klaren Brandung jedes Flecken dieser Welt, auch der Meinigen. Ich wollte fortwährend laufen, immer weiter, über Erlebnisse und Erkenntnisse, bis ich irgendwann bei mir ankommen würde. Um aktiv Segel zu setzen. Für mich war es nämlich nicht „Gnade genug, Segel im Winde zu sein“ (Songzeile, Konstantin Wecker).
Das Hostel war ein wilder, an Hundertwasser erinnernder Zusammenschluss aus Neonfarben, verwinkelt gebauten Mauern und wunderschönen großen Pflanzen. Wie in einem Farbkleks zwischen dem sich aufbauenden Touristenhafen, saß man an großen, geschnitzten Holztischen und konnte sich innovative Shakes und Avocado-Toast bestellen. Am Eingang saß wie in einer Höhle aus Holz und Farben, ein eigens für das Hostel angestellter Silberschmied, dem man den ganzen Tag beim Arbeiten zugucken konnte. Ich erinnerte mich schmunzelnd an die Zeit, in der Nino und ich unsere Eheringe in der Ginkgoschmiede Kaufbeurens über drei Tage selbst anfertigten. Es fühlte sich fast mehr für die Ewigkeit an, geimeinsam etwas zu schmieden, dass unsere Verschiedenheit und die Verbindung derer bildlich darstellen sollte. Wertvolles, hartes Material zu schmelzen, zu formen und so dem eigenen Willen und Verständnis von Ästhetik zu unterwerfen war eine für mich sehr Macht ausstrahlende Tätigkeit. Und so schaute ich ihm zu, und verfolgte das Spiel der konzentrierten Augen mit den wunderschönen Stücken, die seine Hände herstellten. Vielleicht strahlte ich etwas zu intensiv, wie ich es von mir schon kannte, ohne naiverweise darauf im richtigen Augenblick zu achten. Er schaute auf und unsere strahlenden Augen trafen sich. Er hatte lange schwarze Locken und einen breiten Mund, der mich gepaart mit dem breiten Grinsen zum Lachen brachte. Als ich abends enttäuscht von meinem wagemutigen Rollerausflug nach Hause kam, bei dem ich einen abgelegenen Strand zum Schnorcheln gesucht hatte und nur auf einen aufdringlichen Schweizer und tausende Plastiktüten zum unter Wasser bestaunen gefunden hatte, saß er immer noch grinsend an seinem Platz. Er sah, wie ich mit dem Schweizer diskutierend in der Bar saß und setzte sich zwischen uns, woraufhin der Schweizer doch mal abdampfte und ich dem Silberschmied ein Bier zum Dank bestellte. Wir redeten den ganzen Abend über die Möglichkeit, dass eine Frau alleine um die Welt reisen könne, obwohl sie ihren Ehemann liebe und eine Weltreise nicht automatisch bedeute, dass man auf der Jagd nach dem großen Sexabenteuer seines Lebens sei. Er wirkte weltoffen und intelligent. Wollte mehr erfahren über meine aberwitzige Idee der Treue, der Freundschaft zwischen Mann und Frau und genoß die Vorstellung sichtlich, nicht den Aufreißer spielen zu müssen, sondern er selbst sein zu dürfen. Wir tranken 6 Bier, lachten Tränen bei alten Trennungsgeschichten und er schenkte mir zum Abschied eine kleine Weltkugel aus Silber. Ich war hin und weg. Sie war so filigran und passend in diesem irgendwie noch einmal neuen Reisebeginn, dass ich ihn umarmte und strahlend auf meine schmutzige Balimatratze tanzte.
Zwei Tage lang versuchte ich mir noch mehr Bali anzuschauen, fuhr vier Stunden durch die Prärie um in Ubud im Monkey Forest völlig erstaunt zwischen lauter Deutschen Affen beim Leben zu zu schauen, lag auf den Liegekissen in einem Restaurant, las viel und schrieb, hörte „Weltenbrand“ und fühlte, wie mein Inneres sich der Welt gegenüber (und somit allein mir) wieder auftat. Ubud war sehr ursprünglich, wenn auch touristisch, und bestand aus vielen lächelnden Menschen und Farben. Die nächtliche Heimfahrt, unterbrochen von mehrerem Umfallen mit meinem neuen Roller ohne Helm, wenn ich versuchte stehen zu bleiben, war unglaublich aufregend für mich. Saß ich doch seit Jahren schon auf keinem Zweirad mehr und konnte mit dem Teil bis auf 120 hoch beschleunigen. Ich kicherte in mich hinein, als ich mir vorstellte, wie ich erzählen musste, dass ich in fünf Tagen Bali einen Tag davon 8 Stunden gefahren war. Motorisierter Untersatz hatte etwas für mich. Wäre ich in „Into the Wild“ vorgekommen, wäre ich auch als Gummitramp aufgetreten. Es war nicht ganz ungefährlich, nachts alleine in so abgelegenen Teilen Balis herum zu kurven (ohne wirklich mit dem Roller fahren zu können), aber es war ja auch nicht ungefährlich alleine zu reisen. Ich fühlte mich mit mir sicher. Einmal landete ich in einer Sackgasse und zwei wild fletschende Hunde rannten auf mich zu. Es war die Konzentrationsleistung meines Lebens, in diesem Moment umzudrehen und los zu fahren, ohne dieses eine Mal auch mit dem Roller um zu fallen 😀
Reisfelder gab es auch ohne Ende, und Straßenkioske mit exotischem Fleisch zum Mitnehmen. Kleine Tempelanlagen, große religiöse Umzüge mit am Strand tanzenden Menschen und eine alte, schrumpelige Frau, die mich von unten anstrahlte und mir zwei Holzketten verkaufte, mit dem Spruch, sie würde sehen dass ich noch viel mit meiner großen Liebe erleben würde, und diese Ketten beschützen uns auf diesem aufregenden Weg vor allem Düsteren. Jedes Mal wenn ich einen Abstecher in das Hostel machte, gaben der Silberschmid und ich uns die Faust, um das mit der Freundschaft zu unterstreichen, und aßen lachend und erzählend zusammen.
Als ich morgens um fünf an meinem Abflugtag ins Taxi steigen wollte, stand der Silberschmied hupend mit seinem Bike dahinter und meinte, er würde mich damit zum Flughafen fahren. Ich hatte so Bock auf Motorrad fahren, dass ich mich tierisch freute und hinter ihn ohne Helm auf die Suzuki stieg. Wir machten öfter Halt um eine zu Rauchen, oder etwas Tolles zu essen in einer kleinen Absteige am Wegesrand und ich genoss es mit der warmen Luft noch einmal so viel von dem grünen und doch auch armen Bali im vorbei fliegen sehen zu dürfen. Als wir noch eine Stunde entfernt waren hielt der Silberschmied plötzlich an einer Bushaltestelle an und wurde ernst. Er meinte, wenn er schon so eine Strecke auf sich nehmen würde, dann wäre eine Gegenleistung angebracht. Ich gab ihm Geld, was ich sowieso vor hatte, aber das war wohl nicht das, woran er gedacht hatte. Ja und dann versuchte er sich einen Kuss zu erzwingen und schrie mich an, dass ich mit ihm gespielt hätte. Dass keine Frau jemals um die Welt reisen würde, die einen Mann zu Hause hätte und ich eine feige, frigide Lügnerin wäre. Und dass er seine Welt zurück haben wolle, für eine richtige Frau. Ich gab ihm die Kugel, mit dem Satz, dass er seine kleine Welt gerne zurück haben könne, drehte mich um, streckte den Daumen raus, stieg in einen schmutzigen Pick up zu einer FRAU auf die Rücksitzbank zu ihrem Hund und zeigte dem Silberschmied zum Abschied beim vorbei fahren den Stinkefinger. Keine richtige Frau jemals… Ich dachte an den Schweizer, der mir stolz von seiner Seefahrer Karriere erzählte und drei verschiedenen Familien kreuz und quer auf der Welt, die nichts voneinander wussten, und dachte mir, ja, stimmt vielleicht! Aber sie sollten – verflucht, sie sollten. Der Stinkefinger war auch für den Schweizer. Und die Frauen, die gerne würden, aber es nicht tun. „Würdest gern Brandung sein – endest als Gischt“. Sollifri
„Ich weiß noch nicht, bin ich ein Falke, ein Sturm, oder ein großer Gesang.“ Rilke
Der Song zum Text 🙂









Liebe Elisabeth,
oh da werde ich ja ganz verlegen, wenn ganz öffentlich meine eigenen Zitate verwendet werden 😀 Vielen lieben Dank für die nicht gepflückten Blumen und auch dafür, dass du meinen Stinkefinger bekräftigst! Ein bisschen Frauenpower gehört schon auch zum alleine reisen dazu. Wenn es etwas gibt, das ich mit meinem Blog schaffen möchte, dann die Begeisterung fürs Reisen in den Herzen weiter zu erwecken. Wenn ich dich ein bisschen daran erinnern konnte, wie selbstredend wichtig das Ganze ist, dann bin ich schon sehr sehr zufrieden. Und ich bin auch total glücklich darüber, dass ich dieses Projekt noch einmal angehe, es ist unglaublich, wie viel doch niemals verloren geht im eigenen Herzen. Ich bin nachhaltig beeindruckt sozusagen!
LG Sollifri
Liebe Solli,
wie gerne ich von deinen Reiseerlebnissen lese! Wie sie mein Fernweh wecken! Und was das für ein toller Satz ist:
„außer dem immerwährenden Durst nach der klaren Brandung jedes Flecken dieser Welt, auch der Meinigen. Ich wollte fortwährend laufen, immer weiter, über Erlebnisse und Erkenntnisse, bis ich irgendwann bei mir ankommen würde. Um aktiv Segel zu setzen.“
Du kleidest damit ein Gefühl, eine Herangehensweise an das Reisen in Worte, die mir auch immer ein Rezept war und ich möchte dich beglückwünschen, dass du deine Weltreise über unser Modul nochmal angehst und all die Erfahrungsschätze niederschreibst und damit hebst. Zum Schluss möchte ich dir zu 100 Prozent zustimmen: Sie sollten! Ja, sie sollten!!! Und danke, dass du diesem Kerl stellvertretend für uns alle den Mittelfinger entgegengestreckt hast!
Liebe Grüße,
Elisabeth
Hallo liebe Sollifri, DANKE Dir, Du hast mich grad für ein paar köstliche Minuten aus dem Grau(sam)en Norddeutsch-Wetter entführt. Auch wenn ich Dir ruhig an manchen Stellen etwas weniger Mut wünschen würde (allein aufm 120kmh-Roller nachts ohne Helm – hello..!): Deine Bali-Geschichten klingen, als hätten sie Dir weit mehr gebracht, als ein paar Urlaubstage. Ich folge Dir! R
Hallo R 🙂
Ja das stimmt, fast jeder Tag dieser Reise hat mir weit mehr gebracht. Ich denke, weil ich wach dabei geblieben bin. Ich wollte unbedingt von der Welt lernen, und deshalb hab ich es. Das mit dem Mut hab ich schon oft gehört 😀 Dabei ist das eine meiner besten Eigenschaften, meiner Meinung nach 😉
Sehr schön, wenn ich dich kurz entführen könnte, dann hab ich mein Ziel erreicht!
LG sollifri