Der Trip zu dritt war noch einmal eine ganz neue Form von diesem meditativen Bewusstseinszustand, den Neuseeland im Inneren vieler lange Reisender auslösen kann. Es gibt eine Karte von Campingplätzen, die nur zu dem Zweck existierten, für eine freiwillige Spende an abgelegenen Orten seine Zeit zu verbringen. Der erste, den wir so anfuhren, lag inmitten der wildesten Natur. Wir erreichten ihn erst um Mitternacht am nächsten Tag. Eine schmale, sich schlängelnde Straße führte dorthin. Die letzten zwei Kilometer wurden wir von einem suizidalen Hasen geradewegs zum Campingplatz geleitet, der Haken schlagend vor dem Bus hin und her raste. Egal was wir versuchten, half nicht, um ihn zu vertreiben. Wir löschten das Licht, blieben stehen, stiegen aus und rannten auf ihn zu. Er schlug unbeirrt seine Haken und wir tuckerten mit 7 Km/h Tränen lachend hinter ihm her. Der Campingplatz bestand aus insgesamt drei! Stellplätzen in einer Straßenbucht. Es gab eine Toilette und einen Wasserhahn, mehr brauchten wir mit unserem Porno-Bus aber auch nicht, um tagelang untertauchen zu können. Ein kleiner Pfad führte zu einem atemberaubenden See hinab, der allerdings aus Salzwasser bestand, da er vom Meer in eine von Bergen umgebene Bucht hinein floss. Um uns herum waren also Dschungel, Berge und dieser gespenstisch spiegelglatte See. Vier Nächte und Tage lebten wir dort, als würde es kein Morgen geben. Wir lasen uns gegenseitig Faust vor, diskutierten darüber „was die Welt im Innersten zusammen hält“, kochten, badeten, sonnten uns und machten Musik. Eines Nachts schlief Lydia früh ein und Marlene und ich waren unabhängig voneinander noch wach im Bus gelegen. Unsere Blicke trafen sich und wir schlichen leise gemeinsam zum See hinunter. Der Anblick war so unwirklich, dass wir uns bemühten ein Nacht-Foto davon hinzubekommen. Der Mond stand taghell über der Seespiegelfläche, auf der kein einziger Windhauch zu sehen war.

Die Welt schien die Luft anzuhalten, an diesem Ort, in diesem Augenblick. Wir saßen lange überwältigt nebeneinander und sagten kein Wort.
Smoke in my lungs, the echoed stone
Careless and young, free as the birds that fly
With weightless souls now.
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Und dann holten wir die Guitarlele und sangen Old Pine von Ben Howard. Es war, als würde die Umgebung Neuseelands diese Musik mit der Energie füllen, die ihr inne wohnt. Eine Kraft und Power, die zu Hause im hektischen hin und her des menschlichen Werdegangs in seinem Alltag, nie zu Geltung kommen konnte. Man teilweise sogar dachte, Ben Howard´s Musik existiert nur für die ruhigen Augenblicke des Lebens, und selbst dann ist sie noch schwer auszuhalten. Aber hier, an diesem See, war es die passendste und kraftvollste Musik, die je geschrieben und komponiert wurde. Wir hatten das Gefühl ein Puzzleteil aufgedeckt zu haben, was die Welt im innersten zusammen hält. Kompatibilität ent-deckt den wahren Kern, die Seele von etwas vollständig. Ben Howard kann unserer in dieser Nacht entstandenen Meinung nach, nur in Neuseeland begriffen werden.
Wir saßen dort noch lange rauchend, Cider trinkend, singend und mit der einen oder anderen Träne in den Augen, weil wir so glücklich waren. Und jemanden bei uns sitzen hatten, der die Magie des Augenblicks auf die selbe Weise empfinden konnte. Ein unbeschreibliches Gefühl von Nähe. Marlenes Stimme war professionell geschult, während meine emotional und rauchig ist. Wir klangen tatsächlich ohne selbstverliebt klingen zu wollen, ziemlich klar und eingängig zusammen. Und wir trugen diesen Moment noch lange, ich für meinen Teil sogar für immer, im Herzen. Als Rückzugsort, der an Lebendigkeit und Aktualität nicht eine Nuance eingebüßt hat bis zum heutigen Tag – mein Kraftort, der so besonders ist, weil er tatsächlich existiert.
Nach etwa zwei Stunden sitzen, reden, trinken und singen, vernahmen wir plötzlich ein Platschen aus der Nähe. Das war natürlich besonders seltsam nach so vielen Stunden absoluter Stille um uns herum. Wir versuchten durch die Kamera zu erkennen, aus welcher Richtung das Geräusch gekommen sein konnte und erschraken fast zu Tode, als wir gleichzeitig eine große, schwarze, schlauchartige Gestalt aus dem Wasser auftauchen und wieder niedersausen sahen. Etwa 15 Meter von unserem Sitzplatz entfernt tauchten kleine kreisförmige Wellen im Wasser auf, das bis zu dieser Sekunde dalag, als wäre es zu keiner Bewegung geschaffen worden. Ich watete, was meiner Reaktion auf Angst eins zu eins entspricht, mit hoch gekrempelter Hippie-Hose am Seerand entlang durchs Wasser, um näher an die Geräuschquelle zu gelangen. Doch auch aus der Nähe, sah es wieder genauso, wie durch die Kamera aus. Ein langer Schlauch, der aufsprang und nieder sauste, direkt vor meinen Augen. Ich erschrak natürlich wieder, landete mit dem Hintern im Wasser und wir lachten ein bisschen hysterisch, wieder beide am Seerand stehend, und überlegten, was wir da gerade geboten bekamen. Nach einer halben Stunde verschwand das etwa einen Meter große Schlauch-tier und wir erfuhren am nächsten Tag im Internet, dass es vielleicht eine Walflosse gewesen sein konnte. Der See fiel steil ab nach drei Metern und da er mit dem Meer verbunden war, was dies nicht unwahrscheinlich. Manchmal, aber nur manchmal, fühlt sich das Leben ein bisschen programmiert an. Es waren einfach ein paar magische Stunden.
Bei unserer Weiterfahrt, hielten wir zwei Mal an, um einen Tramper mit zu nehmen. Der erste war ein 23-jähriger Kerl, namens Tobi, mit einer Gitarre auf dem Rücken. Und der zweite war ebenfalls ein Kerl, mit einer Gitarre auf dem Rücken 😀 Aber dieser hieß Rangi Pita, was soviel wie Felsen bedeutet, wie er uns später erzählte, war 67 Jahre alt und ein Maori. Er lud uns ein, ein paar Tage in seiner abgelegenen Waldhütte zu verbringen. Rangi war eine außergewöhnliche Erscheinung. Ich hätte ihm vom ersten Moment an nicht misstrauen können, selbst wenn ich gewollt hätte. Er hatte tatsächlich so eine weise Ausstrahlung, wie man es aus Filmen von alten Indianern kennt. Ein immer lächelnder Gesichtsausdruck, eine immer kryptische Antwort auf jede Frage und eine väterliche Stabilität ausstrahlend, die einen in ein geborgenes Netz aus Glaube und Vertrauen spannt, welches man selten als junger Mensch selbst zu Stande bringt. Wir willigten alle Vier ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Hütte war alt, brüchig, mit Moos bewachsen und mit einem Kompostklo ausgestattet. Aber wir konnten warm duschen, hatten einen großen Garten mit einer Hängematte und einer Feuerstelle und einen großen alten Holztisch in einem loftartigen Innenraum. Es war das Paradies. Alle Ereignisse auf dieser Reise seit Neuseeland schienen so perfekt ineinander zu rieseln, als würde eine unsichtbare Feder für uns Ereignisse nieder schreiben. Wir rollten unsere Isomatten auf den Böden aus, kauften in einem Supermarkt in der 20 Minuten entfernten Stadt Utensilien für Pfannkuchen, während Tobi am Eingang eine halbe Stunde mit seinem Hut vor den Füßen klassische Gitarre spielte (er war wahrlich begnadet, in der Perfektion des gezupften Gitarrenspiels) und kochten abends alle zusammen. Es war eine ausgelassene Stimmung in dem Raum und wurde wild musiziert. Tobi und Rangi spielten zusammen die krassesten Solos, während wir alle durcheinander, ein wenig betrunken, unsere mehr oder weniger noch guten Stimmen zur Geltung brachten. Ein Feuer brannte im Kamin und die Welt schien weiterhin zu unseren Gunsten stehen geblieben zu sein. Ich ging kurz spazieren, um einen Punkt mit Empfang zu finden und dem Nino zu schreiben, dass ich ihn vermisste. Das tat ich und gleichzeitig machte mich das ganze Leben ausnahmslos glücklich. Ein „Overthinker“ wie ich hat es nicht immer leicht, zu erkennen, wie schön Alles sein konnte. Deshalb war ich umso dankbarer, dass ich es dieses Mal in dem Moment empfinden konnte, in dem es stattfand. Es war verrückt einfach gewesen, im Hier und Jetzt anzukommen. Nur eine Prise Neuseeland, Freiheit, ungeplantes Vorrücken und Achtsamkeit, schon war ich raus aus der alten, ewig erscheinenden Unzufriedenheit. Ich setzte mich auf einen Stein und schaute wie so oft schon, in die leuchtenden Sterne. Rangi setzte sich unbemerkt neben mich und schaute in die selbe Richtung wie ich. Er sagte nur einen Satz, bevor er aufstand um schlafen zu gehen: „You have got so much Power in your Eyes, I know that everything, what you love, will grow up to its fully hight.“ Ich schaute ihm erstaunt hinterher und spürte wie meine Augen leuchteten. Meine Finger umgklammerten das Tablet, mit dem ich dem Nino gerade geschrieben hatte, dass ich gar nicht glauben konnte, dass er in zehn Tagen endlich vor mir stehen würde. Ich wusste, dass unsere Beziehung in diesem Moment erst richtig los gehen würde. Er hatte seine Komfortzone für mich um den Radius der halben Welt erweitert, und ich würde die Power in mir nutzen, um es ihm, was meine Innenwelt anbetraf, gleich zu tun. Sollifri









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