Beiträge mit dem Schlagwort: Enemy

Enemy

Die zwei Mädels Lydia und Marlene waren am nächsten Tag nachdenklich aufgrund meiner Geschichte mit Noah. Wir saßen nachts zusammen im Bus, sangen Ben Howard Songs mit der Guitarlele und redeten darüber, was so eine Reise alles an Möglichkeiten und Gefahren birgt. Letztendlich kamen wir alle gemeinsam drauf, dass es zwar schon eine coole Sache ist, in so einem weit entfernten Land sein Brot selbst zu verdienen und Teil von einer großen Farm oder sonst einer lokalen Organisation zu sein, aber die Zeit einzigartig ist im Leben und sich die Erfahrungen trotzdem hauptsächlich um die Noahs, Sollis, Lydias und Marlenes dieser Welt drehen sollten. Wir schlugen lachend ein, dass wir eine Weile zusammen einfach mit dem Bus geradeaus fahren wollten, und genießen, dass wir jung, in Neuseeland und zusammen sind. Um das Arbeitsverhältnis aufzulösen, mussten die beiden noch bis zum nächsten Tag im Hostel bleiben, weshalb ich diese Nacht noch einmal am Straßenrand verbrachte.

Ich lag etwas angeheitert auf meinem großen Matratzenlager, hörte laut Disturbed und las Aus dem Leben eines Taugenichts (ich hatte ein Ebook mit einiger Weltliteratur darauf bei mir, weil ich mir vorgenommen hatte, die innere Ruhe für diese Art von Bildung zu nutzen), welchen ich wirklich sehr gut verstehen konnte. Er war emotional, frei und hatte einen inneren Drang nach viel mehr, als nur Reichtum oder Anerkennung. Während ich in Gedanken bei allem, was EIGENTLICH wichtig ist, schwelgte, riss irgendjemand die Fahrertür des Busses auf. Sofort saß ich und war konzentriert auf meine Atmung und die Stelle, aus der ein Murmeln kam. Ich rutschte geräuschlös auf der Matratze an die rechte Buswand, um etwas in der Dunkelheit erkennen zu können. Ein Mann um die 40 stand, die eine Hand noch an der Türklinke, die andere bedrohlich in die Luft erhoben am Bus und schrie mit einer dunklen Stimme „Get out of the car!“ Mein Herz schlug schnell und ich überlegte, wie ich das Auto retten konnte. Immerhin hätte ich mir kein zweites leisten können und ich konnte nicht von dem Gedanken ablassen, den Nino mit unserer fahrenden Heimat in zwei Wochen vom Flughafen abholen zu können. Ich konnte in der Düsternis erkennen, dass der Mann immer wieder auf den hinteren Fuß schwankte und in einem erneuten Aufbrüllen war auch eine verwaschene Sprache zu erkennen. Sein Zustand machte mich mutiger. So schnell wie vielleicht noch nie im meinem Leben sprang ich in einem Satz neben ihn auf den Fahrersitz, drehte den Schlüssel und trat aufs Gas. Während ich los raste (PS hatte die Karre), schlug meine Tür zu und ich konnte im Rückspiegel erkennen, wie Mr. betrunkener Autodieb auf seinen Hintern fiel und etwas in seiner rechten Hand glänzte – ein Küchenmesser? Mit aufgerissenen Augen fuhr ich weit vor die Ortschaft und stellte mich unter einen hohen Baum. Immer wieder stellte ich auf dieser Reise fest, dass ich mich unter den Bäumen viel sicherer fühlte, als zwischen den Wohnhäusern von Menschen. Nach diesem Ereignis verstärkte sich dieses Baum-Vertrauen in mir. Was war bloß in diesen Wichser gefahren? Hatte er dort gewohnt, sich mit seiner Frau verkracht, meinen Bus vor seinem Haus gesehen und sich Mut angetrunken, um mit seinem verkackten Küchenmesser und meinem Graffity-Bus ein neues Leben zu beginnen – in Neuseeland – von insgesamt 1600 Km Länge? 😀 Ich saß morgens um drei also unter meinem großen Baum, in meinem geliebten Kotahitanga, aus der Anlage schallte „Enemy“ von Disturbed und ich lachte mich tot, über den betrunkenen Typen. Doch eine so glorreiche Idee gehabt, sein Leben gerade zu rücken! Ich dachte wütend an den Security am Flughafen, der mir mein Pfefferspray abgenommen hatte mit der Behauptung, in Neuseeland würde ich das nicht brauchen. Naja, ich hatte ja noch mein großes Wildnismesser im Geheimfach meines Rucksacks verstaut, das ab diesem Abend immer griffbereit lag….

Am nächsten Morgen holte ich die beiden Mädels vom Hostel ab und wir fuhren johlend in Richtung nirgendwo. Sie waren schockiert von meiner Story und wir beschlossen ab diesem Tag doch nachts beim Schlafen den Bus abzuschließen (ja ich weiß, naives Vertrauen in die Welt und so – ich mag Vertrauen). Als wir nachts in den Bergen ankamen, lag eine Mondlandschaft vor uns, die Ihresgleichen suchte. Es war ein heller erleuchtetes Tal, als an manchen regnerischen Tagen zu Hause das Licht zu einem durchdringen kann. Mit offenen Mündern standen wir an einer Klippe und starrten in Richtung der gemalten Weite. Marlene konnte unheimlich gut fotografieren und so beschlossen wir, mit Taschenlampen etwas vor den Bus zu malen. Unter Gekicher und stundenlangen Belichtungsversuchen entstand dadurch DAS Foto des Trips.

Liebe auf den zweiten Blick ❤

Natürlich ist kein Ort auf dieser Erde perfekt. Was bedeutet dieses Wort auch eigentlich? Vielleicht ergibt sich Perfektion aus dem harmonischen Zusammenspiel aus Schatten und Licht in immer unterschiedlichen Nuancen von dadurch entstandenen Bildern. Zwei verschiedene Männer mit Messern in der Tasche waren an zwei aufeinanderfolgenden Nächten an meinem Bus. Einer nutzte es, um mir eine liebevolle Botschaft zu übermitteln, einer um mich damit zu bedrohen. Ohne Vertrauen hätte ich keines von beidem erlebt möglicherweise – oder noch wahrscheinlicher nur den, der es mit Gewalt in mein Leben schaffen wollte. Es gibt überall fiese Leute und scheiß Geschichten. Viele der Maori in Neuseeland konnten z.B. schlecht mit den Drogen umgehen, die von uns in ihre Welt geschleppt worden sind. Es gab strenge Auflagen, wann und wo getrunken werden durfte. Unmut, Kriminalität und Arbeitslosigkeit unter den Ureinwohnern (kommt mir bekannt vor) war verbreitet, aber andererseits waren sie Krieger. Niemand konnte sie vertreiben, vernichten oder unterdrücken und diese Einstellung gefiel mir über alle Maßen. Ein bisschen Krieger steckte wohl auch in mir, sonst wäre ich vielleicht einfach ausgestiegen, als der Typ mir den Bus klauen wollte. Aber ein bisschen Krieger ist vielleicht auch notwendig – da steckt Würde und Ehre in der Haltung. Nur weil ich liebevoll und ehrlich, aufmerksam und interessiert sein möchte, heißt das nicht, dass ich mich nicht im richtigen Augenblick auf eine weitere Eigenschaft besinnen kann – Gerecht. Gerechtigkeit ist etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Und gerecht wäre es, wenn ich mit Vertrauen auf die Welt zugehen könnte, ohne dafür bedroht zu werden. Nicht der Schandfleck eines ehrlosen Diebes sollte gewinnen, sondern dafür gekämpft werden, dass ein Noah freundlich in einem nicht abgeschlossenen Bus empfangen wird. Sollifri

Kategorien: Heimat, Neuseeland | Schlagwörter: , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Bloggen auf WordPress.com.

Things I Like...

Wanna change the world? Choose wisely...

Lieder und ihre Geschichten

Ein Blogprojekt von Carmen Eder

WordPress.com News

The latest news on WordPress.com and the WordPress community.