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Brust-Beben

Ich landete mit so einem unglaublichen Urvertrauen in Neuseeland, dass ich mich anstrengen musste selbstständig einen Fuß vor den anderen zu setzen, statt einfach darauf zu vertrauen, dass ich von der perfekten Welle getragen werde. Mein erstes Ankunftsziel war Christchurch, was ich absichtlich so gewählt hatte. Denn die gewöhnliche Route der Reisenden ging auf der Nordinsel in Auckland los, und endete auf der Südinsel in Christchurch. Der Clou an der Sache war, dass ich, wie viele andere auch, einen Bus kaufen und ohne viel Verlust wieder verkaufen wollte. Also dachte ich mir, ist es doch klüger dort zu kaufen, wo alle verkaufen und dort zu verkaufen, wo alle kaufen. Guter Plan!

Nachts um 01:00 Uhr stolperte ich also mit meinen ganzen bescheuerten Souvenir-Tüten aus Bali und Sydney in die einigermaßen kühle Nacht vor dem Christchurch Airport und steuerte ein Taxi an. Ich hatte dieses eine Mal tatsächlich ein wenig Planung im Gepäck, da mein Dad ein Hostelzimmer für mich gebucht hatte, in das er auch meine Neuseeland-Ausrüstung mit den geilen Lederschuhen und der Camping-Trickkiste schicken ließ. Ich zeigte dem Fahrer die Adresse aus meiner SMS und befreite mich von unnötigem Ballast. Mir war heiß vor Neugierde. Meine Nase klebte an der Scheibe, als wäre ich ein überhitzter Hund und meine aufgerissenen Augen versuchten jeden neuseeländischen Punkt fest zu halten, den sie erhaschen konnten. Zugegebener maßen war das herzlich wenig, denn es war dunkel und wir waren in einer Kleinstadt, in der um 01:00 Uhr nachts nicht in jeder Wohngegend der Bär steppt.

Ca. zwei Stunden später und 120 Dollar ärmer stand ich wieder am Flughafen mit meinen Tüten. Wir konnten ums verrecken kein Hostel finden, das sich unter der ebenso wenig existierenden Adresse befand, die mein Vater mir gesimst hatte. Ich legte mich also, mittlerweile doch ziemlich zugeknöpft, quer auf ein paar fest geschraubte Stühle und versuchte dort zu schlafen. Das ist Backpacker for real, dachte ich grinsend bei mir. Nachdem ich fünf Stunden später völlig übermüdet am Infostand wartete, bis mein Handy geladen hatte, grinste ich nicht mehr. Alle 30 Minuten hatte mir irgendein Polizist, Security, Müllmann oder eine Reinigungskraft verboten, im Liegen statt im Sitzen zu schlafen, was meine Meinung verstärke, dass Neuseeland ohne England wirklich besser ausgekommen wäre. Diese Erkenntnis wurde auch nicht weniger bekräftigt von der Tatsache, dass mein Dad scheinbar die Länder verwechselt hatte und meine Schuhe, sowie mein Hostelzimmer, irgendwo im englischen Christchurch auf mich warteten.

Ich kaufte mir eine Simkarte, buchte eines der letzten freien Hostelbetten in einem Gemeinschaftssaal, und versuchte dieses mit dem zerknitterten Busfahrplan eines Infostandmitarbeiters zu erreichen. Mittlerweile hatten sich die Schlaufen der Tüten schon so tief in meine Handgelenke geschnitten, dass ich sie nicht mehr wagte im Bus abzulegen, weil ich Angst hatte, danach einfach alles liegen zu lassen. Was brauchte ich auch unbedingt ne Balinesische Weihnachtskugel, einen Bumerang, einen Sydney Weinständer, tausend Zippos und vier Flaschen Bier von Welt? Das war wieder Typsich Impulsmensch. Nicht zum denken geboren. Diese lebensnotwendigen Souvenirs hatte ich mir redlich verdient nach diesem Trip! Ich brauchte ungelogen zwei Stunden und vier verschiedene Busse um nach 30 Minuten Fußmarsch bei meinem Kiwi-Hostel anzukommen. An einer der Bushaltestellen hatte ich meine erste Maori-Begegnung mit einer kräftigen Frau in pinken Leggings, die mir ungefragt ihr Leid klagte über diese gruselige, graue Stadt. Sie meinte, sie hätte all ihr Hab und Gut bei einem Erdbeben verloren, bei einem anderen ihren Mann und beim dritten dann ihr sowieso schon brüchiges kleines Häuschen. Ich fragte sie, wie viele Erdbeben denn hier so statt finden, und sie meinte, sie könne nicht mehr zählen, wie viele sie selbst erlebt habe. Manchmal seien es drei in einer Woche gewesen, dann sogar mal zwei Monate gar keines. Ich fühlte mich etwas unsicher. Und fragte mich gleichzeitig, typisch europäisch, was einen Menschen dazu bewog, in dieser Stadt wohnen zu bleiben.

Die nächsten Tage galt es, darauf zu warten, dass mein Dad mir das vorher zugesagte Geld überwies. Ich hatte mein Erspartes gänzlich aufgebraucht, um die ganzen Tickets, Versicherungen und Rechnungen der nächsten Monate im Voraus für den Nino zu bezahlen und war jetzt ziemlich blank. Also saß ich da, ernährte mich von trockenen Nudeln mit Salz und Knoblauch, die ich in der Gemeinschaftsküche kochte, zahlte mein Bett für eine Woche von der Kreditkarte und verbrachte meine Tage damit, mich wieder selig zu stimmen. Ich saß drei Tage in Folge in Sandsäcken auf dem Dachboden und guckte mir einen Herr der Ringe Streifen nach dem anderen an, hörte mir die Geschichten der Work-Traveller an, schlief wahnsinnig viel, um den Jetlag zu überwinden und stand danach auf, als wäre nichts gewesen. Selig sozusagen. Herr der Ringe hilft immer. Vor Allem, wenn man die Filme IN NEUSEELAND anguckt. Das hatte ich also abgehakt.
Ich will nicht sagen, dass Christchurch hässlich ist, aber es ist schon ziemlich deprimierend. Andere mögen ihre Beziehung zu diesem Ort ganz anders erlebt haben, aber bei mir kam ein Ereignis auf das Andere, welches das Image in mir trübte. Die ganze Stadt ist um das Zentrum gebaut, das eine völlig von den Erdbeben zertrümmerte „Christchurch“ krönt, um die herum dürftig tausende von bunten Formen an einen Bauzaun gehängt wurden. Läuft man ein bisschen durch die Straßen, trifft man immer wieder auf besprayte Mauern, die in Bildern erzählen, was alles zerstört worden ist. Eine Wand hat mir dann tatsächlich den Rest gegeben. Da stand in großen Lettern „I hope Christchurch will….“ und darunter waren hunderte von Anmerkungen verschiedenster Menschen angebracht, die allesamt super trostlos klangen. So etwas wie „rebuild again“ oder „burn“ oder „fuck itself“, oder auch „give me back, what I´ve lost“. Ich drehte mich auf dem Absatz um und beschloss, meinen Neuseeland Trip erst in dem Moment anzuerkennen, in dem ich in meinem Bus aus dieser Stadt gefahren sein würde. Christchurch wird mir Neuseeland nicht versauen! Eine Woche verbrachte ich damit, durch die Automärkte zu schlendern und nach meinem Augenstern von Bus zu suchen. Und dann fand ich ihn. Und ich sollte ihn Probe fahren. Und mir sank das Herz in die Knie. Linksverkehr (hab ich England schon erwähnt?), Fahrersitz auf der anderen Seite, riesen Ungetüm von Gefährt mit klemmender Kupplung und Innenstadt. Ich dachte an meine Freundin von „I hope Christchurch will…“-Wand, sprang hinter das Steuer und fuhr das Ding durch die Kreuzungen, als hätte ich noch nie etwas anders getan. Nichts in der Welt hätte mich in dem Moment davon abhalten können, egal welche Kiste aus dieser Stadt hinaus zu bewegen. Zwei Tage später, mit 30-minütigem Takt in Form eines Spaziergangs zum Geldautomaten, war die Kohle auf dem Konto und ich konnte ungelogen, zwanzig Minuten bevor der Bus an jemand anderen gegangen wäre, die 5000 Dollar auf den Tisch legen und mein Baby mitnehmen. Ich hängte eines meiner tausend Souvenirs, nämlich einen Wikingerschild Anhänger, an den Schlüssel, packte mein ganzes unnützes Geraffel in den Ford Econoline (der innen größer war, als jeder andere Bus, der mir unterwegs begegnete) und fuhr. Ich fuhr in den Supermarkt, holte mir CD´s, Essen und Cider (wie es sich gehört, in dem Punkt tolles England) und drehte einen meiner neuen Reisesongs auf. „Sometimes goodbye is a second chance“. So ist es. Jeder Meter, den ich weiter in dieses bezaubernde land fuhr, wuchs meine Gewissheit, dass ich hier Schönheit zu sehen bekäme, die ihresgleichen sucht. Als es dunkel wurde stellte ich mich abseits der Straße zwischen zwei Dünen. Ich legte mich auf die Motorhaube, hörte leise Musik, blies blauen Rauch in die laue Nachtluft und weinte eine Freudenträne bei dem ersten Wunder, das ich hier zu Gesicht bekam. Den Sternen….abermillionen Sterne. Sterne überall, hell, fast blendend! Meine Augen sahen die Galaxie, das Universum, alles wurde klein und groß gleichzeitig. Ich war zu Hause….und meine Brust bebte. Sollifri

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