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Fließen wie das Leben

Es klingt so einfach, und wenn man es mal begriffen hat, ist es das auch. Die Bedeutung von ALLEM ändert sich in dem Augenblick, in dem man sich erlaubt einfach mal zu sein. Was dafür nötig ist, bleibt Typ-Sache. In meinem Fall war es der Ort. Mein Vater meinte immer, es müsse durch Stille und Einsamkeit geschehen. Doch im Laufe meines Lebens begriff ich, dass es für jeden Menschen anders von Statten geht und selbst diese pathetischen Worte wie „Stille“ und „Einsamkeit“ subjektiv eine eigene Sinnhaftigkeit besitzen.

Als ich an meinem ersten „wirklichen“ Neuseeland-Morgen erwachte, stand die Welt still. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben. Es war ein erregendes, bewegendes und waches Leben gewesen, das ich bisher geführt hatte. Und doch rasend. Nicht jede Emotion, die es verdient gehabt hätte, wurde tiefergehend empfunden. Nicht jeder Moment sich entsprechend gewürdigt. Nicht jede Erkenntnis war von Dauer, wie sie es das Recht gehabt hätte zu sein. Ich schlief in meiner ersten Bus-Nacht wie ein Baby. Und zwar wortwörtlich, denn es gibt eine unvergleichliche Geborgenheit, als Erwachsener sein ganzes Sein für einen Augenblick selbst zu bestimmen. Alles an dieser Lebensart stimmte mich euphorisch. Ich baute happy mein Bett im hinteren Teil des geräumigen Busses aus gut justierten Brettern zusammen, und wieder auseinander zu einer quer angebrachten Sitzgelegenheit mit Tisch in der Mitte. Genauso happy stand ich bei strömendem Regen unter dem langen Kofferraumdeckel und studierte die Gasflasche, welche mit zwei Herdplatten auf der genau richtigen Höhe verbunden war, erkannte wie man den Wasserkanister benutzte und begutachtete jegliches im Auto verstautes Campingutensil. Sogar eine behelfsmäßige Außendusche konnte ich finden, und Grillmaterial. Am „happiesten“ jedoch, war ich bei der piniblen Begutachtung des Außen-Graffities meiner neuen Wohnung, die mal mehr, mal weniger künstlerisch vollkommen stimmig auf mich wirkte und viel Raum für Interpretationen ließ. Auf der Rückseite stand in großen weißen Lettern das Wort „Kotahitanga“, nach etwas Recherche bekam ich heraus, dass es so etwas wie Gemeinsamkeit, Solidarität, collective action bedeutete. Ebenso, war es der Begriff, welcher im 19. Jahrhundert von der Maori-Gemeinde für eine Bewegung verwendet wurde, welche ein Self-Government und eine national Unity among all Maoris erreichen wollte. Ich liebte sie, die Maori. Alleine schon für dieses Wort. Es ist eine Sprache, die wild und gleichzeitig melodisch klang. Wild und melodisch, das war es, was ich als lebendig empfand. Als ich an diesem Tag den Schlüssel im Schloss drehte und den Motor meiner fahrenden Heimat hörte, war ich spätestend hin und weg von diesem Lebensentwurf. Wenn ich heute daran zurück denke, ist das Gefühl immer noch das Gleiche. So fühlt sich für mich bis heute der Augenblick an, in dem man auf ewig verweilen könnte – weil man nur auf sich selbst zurück geworfen das Leben fließen lässt.

Das Erste was mir auf meiner völlig freien, ziellosen Losfahrt auffiel, waren die unglaublichen Farben dieses Landes. Das zweite war der Raum. Egal wo man hinschaute, waren die Farben satter, fokussierter und hatten Platz um zu leuchten. So wenig gab es, was das Auge beschränkte. Und somit das Denken. Ich vergaß zu rauchen, Musik aufzudrehen, zu essen – der Bus fuhr mich durch ein Paradies und ich wuchs mit jedem Meter in dieses Gefühl hinein, dass es für mich nur in Neuseeland zu finden gibt. Ich brauchte nichts. Und in diesem Augenblick tauchte eine Löwenmähne vor mir auf. Die 25jährige Chrisy war von Kopf bis Fuß in Farben gehüllt. Ihre blonden Locken standen in alle Richtungen und die braunen Arme und Beine waren sanft und leicht in bunte Tücher gehüllt. Sie hatte den Daumen heraus gestreckt und nachdem mein Bus mir ja gesagt hatte, dass er für Gemeinsame Aktionen gebaut wurde, hielt ich natürlich. Wer würde auch so einer weisen uralten Seele wiedersprechen. Es war eine Worktravellerin, die sich in der Zeit verschätzt hatte und jetzt schnell von ihrem Ausflug zu einem Kerl in der oberen Region der Südinsel zurück nach Queenstown musste, da sie übermorgen für die Küche eines Restaurants im Dienstplan stand. Queenstown wurde mir von der vorherigen Busbesitzerin als die Stadt angepriesen, in der es den besten Burger der Welt geben sollte. Und da ich mir fest vorgenommen hatte, ohne Reiseführer und vom Wind getragen durch dieses Land zu „Gummitrampen“, kam mir ein erster Anreiz sehr gelegen.

Die zweite Nacht in meiner Graffity-Residenz verbrachte ich also schon mit einer schönen, mir fremden Frau, mit der es sich hervorragend kichern ließ. Wir erzählten uns eigentlich zwei Tage durchgehend nur die witzigen Geschichten aus unseren Reisen und das war eine feierliche Abwechlung zu dem sonst doch sehr monotonen, da gleichen Themen, mit neuen Reisebekanntschaften. Wir waren innerhalb von 30 Minuten so vertraute Bus-Buddies, dass es sich anfühlte, als wäre es so gedacht gewesen. Ob der Bus dabei seine Finger im Spiel hatte? Die Fahrt bis nach Queenstown, dauerte insgesamt um die 6 Stunden, und da ich Chrisy am ersten Tag (meine Busbesichtigung verlief in Zeitlupe) erst spät aufgesammelt hatte, kamen wir dort erst nach einer Übernachtung am nächsten Tag um die Mittagszeit an. Wir frühstückten Rührei und Tee, lachten immernoch alle fünf Minuten und fuhren dann mit lauter Rockmusik singend in dieser Stadt ein. Innerhalb der ersten 10 Minuten wusste ich schon, dass dies der Ort war, an dem ich alt werden wollte. Man kam von einer sich schon ewig schlängelnden Straße von einer Erhöhung in das Zentrum, das sich nach wenigen Minuten schon wie ein verzaubertes Tal von den Augen entfaltete. Eine kleine, mit tausend Laternen beleuchtete, eigensinnig gebaute Kleinstadt, welche sich insgesamt von allen hohen und kleinen Gebäuden aus auf den großen Lake Wakapitu auszurichten schien. Und falls ich bisher von den Farben dieses Fantasie-Landes begeistert war, konnte dieses Wasser eigentlich nicht von meinem, sich an die bekannte Realität klammernden, Verstandes begriffen werden. Es war ein so unglaublich blaues Wasser, wie ich es bisher nur von Bob Ross Bildern kannte. Ein Stein gewordenes Gemälde, welches nun für uns frei gegeben wurde, um hinter die Leinwand zu blicken. Einen Fuß in die noch nicht getrockneten Farben zu setzen. Mit jedem Meter hatte ich Angst, dass die Reifen meines Kotahitanga einfach in Ölfarbe versinken könnten. Ich war in dem Paradies angekommen, dass Robin Williams sich von seiner Frau in „Hinter dem Horizont“ hatte malen lassen. Sollifri

Kategorien: Heimat, Neuseeland | Schlagwörter: , , , , , , | 4 Kommentare

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