Gruselgeschichten und andere vorweg genommene Überraschungen ;)

Langsam ist das Gefühl in mir aufgekommen, hart im Nehmen zu sein. Also wirklich. Man wird durch das Reisen so in seiner Toleranzlinie geprüft, mit dem Facettenreichtum der vermenschlichten Erde konfrontiert und ständig aufs Neue an noch nicht erkannte oder nur in der Phantasie existierende Grenzen gestoßen, dass einem eigentlich nichts anderes übrig bleibt, als intelligenter, offener und gelassener zu werden. Reiner Selbsterhalt 😀

Und doch gab es da so ein paar Geschichten, oder besser, gerade diese Geschichten passen zum oben gesagten, die mich echt ein bisschen fertig gemacht haben 🙂 Fertig gemacht im überraschenden, unbekannten, positiv wie negativ schockierenden Sinne.

Die Fressbuden mit gegrillten Kakerlaken, Taranteln, Geckos und Riesenmaden waren da noch der kleinste Teil davon. Auch aufgeschnittene Minischildkröten, schwarze frittierte große Skorpione am Spieß und gequälte Elefanten sowie große grüne Leguane die zerschunden auf thailändischen Straßen zur Fotoshow ihr Leben lassen sind nicht mehr das, was man nicht schon geahnt, gesehen oder gehört hätte (obwohl es jedes Mal wieder ein sehr fremdartiges Gefühl in einem aulöst…aber was soll man anfangen sich auf ein Podest zu stellen? Was der Mensch isst, bleibt abhängig vom Markt, vom Preis, vom Gehalt und erst zuletzt vom Bildungsgrad, Gewissen und selbst auferlegten moralischen Kodex…was er dem Tier antut ebenfalls. Hühnern und Schweinen geht es in Thailand fünfzig mal besser als bei uns…dem kleinen Äffchen an der Kette vor der Haustür, dass aus der Wildnis gefangen wurde wohl um Einiges schlechter, als den meisten unserer Hunde. Und so hält sich die Waage immer und immer, egal welches Thema man begutachtet…und es bleibt nur die leise hoffnungsvolle Gewissheit, dass es ohne Schwarz kein Weiß geben würde…ohne Fehler keine Erkenntnis). Aber was mir wirklich einen Schrecken verpasst hat war Folgendes: Palmölplantagen, in einer Hektarzahl, die man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, Müllberge mitten in einem Naturschutzgebiet…die Erfahrung beim Schnorcheln mehr Plastik als Fisch zu Gesicht zu bekommen…Kinder die mitten auf der Straße nackt eine Lache nach der anderen vor sich kotzen und dabei mit ihren schmutzigen Gesichtern viel weniger hilfesuchend, als mit schon akzeptierter Einsamkeit um sich blicken…Menschen, die wütend werden, wenn man einen fairen Preis fürs Taxi aushandelt und einen deshalb allein irgendwo in der Pampa abschmeißen…Männer, die sich zu Mehreren, völlig unabhängig voneinander, in verschiedenen Ländern, ohne darüber nachzudenken einfach zu nehmen versuchen, was sie wollen. Sich immer wieder und wieder vor einem aufbauen, gewaltvoll versuchen einen Kuss zu bekommen und einem Angst einjagen, indem sie gleichzeitig mit jedem ¨Nein¨ immer geiler und wütender werden…die gleichen Männer jedoch tagtäglich 16 Stunden für ihre Familien arbeiten, abends ihren kleinen Sohn mit einem Kuss ins Bett legen und sich nur lustig, zurückhaltend und sanft zeigen, wenn sie sich mit einem männlichen Touristen nach dem anderen für ein ganzes Leben anfreunden…ein Polizist am Flughafen, der einem sagt, in meinem Land braucht eine Frau nichts zu ihrer Verteidigung, wenn sie alleine reist, das Pfefferspray an sich nimmt und zwei Wochen später eben diese allein reisende Frau in der Nacht in ihrem Bus sitzt, aufschreckt weil ein betrunkener Kerl die Beifahrertür aufreißt, schreit ¨get out of the fucking car¨ und die Frau sich nur vor einem Überfall retten kann, indem sie das Torkeln des Kerls ausnutzt, hinters Steuer springt und mit quietschenden Reifen beim Fahren die Tür zukrachen lässt…sich im letzten Winkel versteckt…ein 60-jähriger Russe, der schlecht Englisch spricht, Seefahrer ist und der anfangs hilflos nach einer Englischlektion suchend um einen Platz am selben Tisch bittet. Sich im Laufe des Gesprächs und Tages und nach etlichen ungebetenen und abgelehnten und trotzdem bekommenen Geschenken herausstellt, dass er drei verschiedene Frauen mit jeweils mehreren Kindern auf der Welt verteilt hat, die alle nichts voneinander wissen…und sich immer an einem neuen Anlegeort sofort nach einer Sexgeschichte umschaut…denn ohne kann er nicht leben, sagt er. Auf die Frage hin, ob das die Begründung für so viele existierende vaterlose Kinder sein soll, kommt dann die Antwort von so einem Menschen ¨wenn einem was wichtig ist, muss man negative Nebeneffekte eben in Kauf nehmen¨…

Und doch gab es auch so Vieles, dass mich wieder in dem bestätigt hat, was man sich insheheim von so einer Reise herbeiwünscht. Ein Tag, an dem man alleine weinend vor einem Sonnenuntergang sitzt und die Sehnsucht nach einem Menschen so groß wird, dass man vor lauter Schmerz und Zerrissenheit der Träume nicht mehr atmen kann. Und dann läuft man mit dem Gefühl das erste Mal erfahren zu haben, was Einsamkeit bedeutet den Strand entlang um sich vor dem ertrinken zu retten…und es tauchen zwei Menschen mit einer Gitarre vor einem auf. Sie sitzen in der dunkel werdenden Idylle, spielen befreundet wie sie sind nur ergreifende Lieder und bieten einem einfach so ihre Schulter, ihr Herz, ihr Lächeln und ihre Zuversicht an…tausende und abertausende hilfsbereite Seelen, die sich jedes Mal, überall auf dieser Welt ein Bein ausreißen würden, um einem die bestmöglichste Antwort, Wegerklärung, Hilfe oder Bedienung zu schenken, die sie nur hervorzaubern können…ein Dschungelkoch, der ohne mit einem sprechen zu können so viel sagt, so viel Geborgenheit, Schutz und Ehrlichkeitverbreitet, allein durch seine Anwesenheit…Künstler, die bescheiden und in Massen verbreitet völlig abgeschieden und abgetrennt vom Nabel der Welt in ihrem Element aufgehen und jeden Tag mit einem Lächeln auf gebleichte Laken mit selbst gemachter Farbe pinseln, mit einem Meißel ein gefundenes riesiges Stück Holz bearbeiten und dabei mit einem Leuchten in den Augen und Sägespäne im Gesicht aussehen, als hätten sie irgendwie mehr verstanden als der Rest…Sänger und Gitarristen die in englischer Sprache und mit Engelsstimmen kaum zu unterscheiden sind, vonjeglichen Bands, die man sich sonst für viel Geld zum Anhören kauft, die englisch sprechen als wären sie so gebohren worden, in einem Land, in dem es wenige über Floskeln in dieser Sprache hinausbringen…freundliche, strahlende Gesichter wohin man blickt, die einem aus einer Wellblechhütte heraus, oder von einem Schrotthaufen aus, der von einer Flut, einem Erdbeben oder einem Sturm zerstört wurde, einen schönen Tag, ein schönes Leben oder ein Kompliment mitgeben wollen…Menschen, die ohne sich zu langweilen ein ganzes Leben mit den selben Leuten lachend und liebevoll zusammen an ein und dem selben Ort lebend umgehen, die wirken, als würde sie schlechte Laune nicht einmal kennen…Andere, welche einen ganzen Tag mit sich in der Sonne liegen können, Gitarre spielen können, Angeln oder nur dösen können – einfach die Ruhe weg haben – nie das Gefühl gerade das Falsche zu tun, etwas zu verpassen oder mehr aus seinem Tag machen zu müssen…

Und auch die Sensation, das Skurille an den Dingen kam absolut nicht zu kurz. All die Grimassen, die Hinduisten an ihren Festtagen in Sarongs mit wildem Getanze, Gescheppere und barfuß an Stäben über den Köpfen tragen, Thais vor ihren Tempeln als Wächter postieren, Maoris als Tikisäulen für ihre Häuser oder als Eingangstore für die Dörfer geschnitzt haben, Bataks (Kanibalen von früher) in Sumatra auf ihren schiffähnlichen Häusern thronen lassen…und sie alle unabhängig voneinander, und trotzdem streckt jede einzelne dieser unterschiedlichen Figuren die spitze Zunge heraus :D…und um auch mal wieder zurück auf den Dschungel zu kommen…Blutegel! Diese winzigen amöbenartigen Geschöpfe, die aussehen als hätten sie weder Geschlecht, noch Augen, noch irgendetwas anderes als einen braunen Puddingkörper, der wütend in der Luft herumfällt um sich irgendwo endlich festsauen zu können…und dann beißen sie mit ihrem ausklappbaren Kiefer so fest zu, dass man sie nur mit dem Fingernagel weg schaben kann und aufpassen muss, dass sie dann nicht da gleich wieder zu saugen anfangen…sie schwillen dann mit DEINEM Blut ums zwanzigfache ihres Körpergewichts an und das alles, egal wie gruselig es klingt, ohne irgendeinen Schaden bei dir anzurichten…sogar dein Blut zu reinigen 😀 Skurriles Dschungelleben…Pflanzen für jegliches betragen, Blätter die als Tee gegen Durchfall helfen innerhalb von zwei Stunden, gelbe und rote kleine Blüten, die einen innerhalb von vier Monaten von Asthma befreien, Bodensträucher, die man mit ihrem Zitronengeruch zum Einreiben gegen Mücken und andere Insekten verwenden kann…Schattengewächse die mit ihrer Milch jegliches Jucken am Körper beenden…Baumrinde, die als Antibiotika, Schmerzmittel und Gewürz dient (allerdings scheußlich schmeckt 😀 Tschibur gab uns die Rinde zu essen mit dem Satz, wir sollen und Eis oder Schokolade vorstellen…und als wir dann mit verzogenem Gesicht das Zeug wieder ausspuckten, lachte und meinte, sonst hättet ihr es ja nicht probiert :D)…es gibt dort Riesenameisen, von denen die weiblichen drei und die männlichen sogar fünf! Zentimeter groß werden. Und die männlichen haben große Hauer vor ihrem Mund, mit denen sie sich sofort bei Berührung festbeißen und erst nach sieben Tagen wieder loslassen…so nähen Dschungelbewohner ihre Wunden…sie halten einfach Ameisen nach und nach daran und lassen die so lange da drin 😀 Da heißt es dann, mein Schnitt hat 14 Bisse gebraucht, so groß war der :D…und was natürlich auch wirklich überraschend ist, und das jedes Mal, wenn man einfach so mittendrin beim Laufen über einen Riesenvaran, einen Riesenvogel, ein Chamäleon, einen atemberaubenden Wasserfall oder einen markerschütternden Abgrund stolpert…denn daran KANN man sich einfach nicht gewöhnen 😀

Und was die Dschungelmenschen anbetrifft, da hat es auch nicht gemangelt an Überraschungen 🙂 Diese Guides haben ein Wissen, da würde ein echter deutscher Geschäftsmann mit nur einer dieser tausend Infos wahrscheinlich sofort zurück fliegen und versuchen Profit daraus zu schlagen 😀 Sie kennen Pfade durch einen riesigen unerforschten Nationalpark, in dem jeder andere sich innerhalb voneiner Stunde so verlaufen würde, dass er dem Tode geweiht wäre! Da sieht einfach nur alles gleich aus 😀 Kennen jeden einzelnen semiwild Affen beim Namen beim ersten Blick, können Vögel und Tiere auch auf eine Entfernung von 500m durch dichtes Astwerk erkennen und einen darauf aufmerksam machen…im Dschungel Jahre überleben, weil sie alle Pflanzen kennen, sich daraus Essen, Medikamente und Schutz mixen können und das alles ganz ohne Outdoor-Ausbildung 😀 Ohne Bücher gelesen zu haben, ohne ein festes Schulsystem…nur durchs wach sein…einer von ihnen zeigte uns um die sieben riesigen Narben an seinem Körper, kreisrund und mit Mulde, und erzählte uns, dass diese alle von dem selben semiwild Orang Utan stammen…von Mina. Und die Geschichte von Mina ist, dass sie mitansehen musste, wie ein Mensch ihr Baby mitgenommen hat und dieses niewieder zurückkam…hat Menschen mit Gewehren schießen sehen und sich eine Meinung über sie gebildet, obwohl sie von ihnen aufgezogen wurde (verständlich). Und seitdem ihr Baby weg kam (es war krank, wurde aufgepeppelt und starb dann aber trotzdem) ist sie aggressiv was Menschen anbetrifft. Und dieser eine Guide, er trifft sie immer wieder 😀 Und wird scheinbar auch ganz schön oft von ihr gebissen…und trotzdem, er geht die Route immerwieder, stellt sich dem Affen immerwieder in den Weg und kann sie irgendwie verstehen. Redet von ihr, als wäre sie ein alter Kumpel der eben eine launische Seite besitzt, wenn er betrunken ist 😀 Wir sind auch durch ein Gebiet gekommen, in dem Mina oft ihr Unwesen treibt und ich war jetzt irgendwie nicht so traurig darüber, ihr nicht begegnet zu sein 😀 …ein weiterer Waldläufer, der vom Dorf zu uns geschickt wurde um Bananen zu bringen und nach dem Rechten zu sehen…er läuft die Strecke in zwei Stunden…wir hatten drei Tage dafür gebraucht!…er rennt auf seinem kleinen, nur aus Muskeln bestehenden Körper regelrecht durch den Wald und wirkt dabei wie ein Spießroutenläufer…und auch dieser hatte eine Geschichte zu erzählen 🙂 Er hatte ebenfalls eine Narbe…allerdings eine der anderen Art. Man sah, dass es den halben Arm gekostet hatte, was ihn da erwischte…und wie sich herausstellte sogar sein halbes Leben. Er bezeichnete sich selbst als reborn Snakehuman…und das war er mit Leib und Seele 😀 Er hatte den Biss von einer Cobra abgekriegt…und diese hatte er trotzdem immernoch in einem Sack zu Hause. Als wir ihn später im Dorf wiedertrafen, führte er uns eine giftige und tödliche Schlange oder Spinne nach der anderen vor, die er mit sich in Säcken durch die Gegend trug! Er steckte sie sich in den Mund, ließ sie alle gleichzeitig auf sich herumkriechen und -krabbeln und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd. Zuerst dachte ich, ja gut, Schocker zum Kohle verdienen, das ist jetzt nicht unbekannt…aber als er Geld ablehnte und mit seinem lieben und gleichzeitig bisschen verrückten Grinsen sagte: ¨ Mir geht es nicht um Geld, mir geht es um Leben. Die Menschen sollen sehen, wie die Natur und der Mensch hier im Einklang leben, wir uns gegenseitig respektieren und Fehltritte nicht nachgetragen werden…damit sie es auf die selbe Weise schätzen lernen und gerne wieder an diesen Ort zurückkehren¨, da dachte ich mir…überraschend 😀 Und wirklich ziemlich cool…das muss man ihm lassen…eine Ganzkörpermassage, die im Programm der Dschungeltour mit aufgeführt war und mich die nächsten zwei Nächte Schlaf gekostet hat, weil ich auf keiner Stelle meines Körpers mehr liegen konnte 😀 Alles tat weh und ich dachte mir, irgendwie ja auch eine Kunst für sich…jemanden innerhalb von einer halben Stunde so fertig zu massieren, dass der sich eigentlich völlig regungslos die nächsten zwei Tage liegend aufhalten muss 😀 Kung Fu Massage…die Grabschversuche die er dabei unternahm, waren zwar nicht besonders, aber sie führten dazu, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, ob ich doch noch ein Emanzenbuch schreiben sollte! Sowas beschissen abartig respektloses…hab wieder geschimpft, wieder gesagt, wie mich das ankotzt und anwiedert…aber in Endeffekt, ich glaube er hat mich nicht verstanden. Hatte nur total Angst, dass ich es irgendwem erzählen könnte und darüber drehte sich seine Entschuldigung auch durchgehend…ich hab an dem Tag jedenfalls begonnen Abstand zu nehmen. So lieb und wissend und lustig dieser Tschibur auch war…ich konnte danach nicht mehr gut mit ihm umgehen. Wie auch. War ein paar mal zu viel des Guten. Ab dem Zeitpunkt und dem letzten Gespäch darüber waren wir aber endlich an dem Punkt angekommen, an dem er aufpasste, mir nicht zu nahe zu treten und kapiert hatte, wie ernst ich es meinte. War angenehm für die restliche Zeit 🙂

Also wie man sieht…ich hatte da so einige Erfahrungen bisher, über die man sich schon mal wundern kann 😀 Und zum wundern…ist das Leben glaube ich da…in dem Moment in dem es aufhört, da fehlt der Glanz, das Neue, die Begeisterungsfähigkeit…und auch die ein oder andere Lektion. Denn wer lernt schon wirklich ohne zu fühlen? Sollifri

Kategorien: Gruselgeschichten | Schlagwörter: , , , , | 2 Kommentare

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2 Gedanken zu „Gruselgeschichten und andere vorweg genommene Überraschungen ;)

  1. Christine

    Einfach fabelhaft Solli. So lebendig und alles stimmt was Du da schreibst, besonders der Spinnenmann
    Bussi von
    Mama

    • Sollifri

      Ach das ist Balsam für die Seele, wenn ich ein Lob bekomme 😀 Und dann auch noch von dir, die das ja alles auch einfach zerfetzen und ganz anders erlebt haben könnte 🙂 Der Spinnenmann war wirklich lustig oder? Ein komischer Kauz 😀 Bussi Töchterli

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